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Immer mehr Kinder und Jugendliche verweigern den Schulbesuch. Einer von ihnen ist Noah*. Seine Eltern und er suchen Hilfe im Zentrum für Kinderpsychiatrie in Männedorf. Die Leitende Ärztin Veronika Mailänder erklärt, wie ein stationärer Aufenthalt abläuft.

Veronika Mailänder vor der neuen Wandgestaltung der Therapiestation Brüschhalde

Veronika Mailänder vor der neuen Wandgestaltung der Therapiestation Brüschhalde

Text: Marita Fuchs

Noah durchlebt gerade eine schwierige Phase. Er hat Ängste und weigert sich seit Monaten, zur Schule zu gehen. Die Eltern sind mit der Situation überfordert und haben sich nun entschieden, Noah in stationäre Behandlung zu geben. Die von ihnen ausgewählte Therapiestation Brüschhalde liegt oberhalb von Männedorf umgeben von Wiesen, Spiel- und Sportmöglichkeiten mit Blick auf Weinberge und den Zürichsee. Heute besuchen die Eltern und Noah das erste Mal die Brüschhalde zu einem geplanten Vorgespräch, um mehr über den Aufenthalt zu erfahren.

«Viele Kinder und Jugendliche und deren Eltern wissen nicht, was sie in der Klinik erwartet», sagt Veronika Mailänder Zelger, Leitende Ärztin des Zentrums für Kinderpsychiatrie Brüschhalde der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Sie bittet die Eltern und den zehnjährigen Jungen gemeinsam mit einer Leitungsperson aus dem Bereich Pflege/Sozialpädagogik in ihr Büro, wo sie über den Eintritt, den Aufenthalt mit den verschiedenen Behandlungsangeboten und über die Austrittsphase sprechen. Kinder und deren Familien werden in der Brüschhalde während Diagnostik und Behandlung individuell begleitet. «Wir schaffen Vertrauen zu den Kindern und Jugendlichen», erklärt Mailänder. «Nur so sind wir in der Lage, sie auf dem Weg zur Genesung effizient zu unterstützen, sie zu fordern, ohne zu überfordern.»

Zusammenarbeit mit den Eltern

Jeweils eine Therapeutin oder ein Therapeut, eine Fachperson aus dem Bereich Pflege oder Sozialpädagogik und eine Kliniklehrperson werden sich eng um Noah kümmern. Die einzelnen Stationen werden von einer Oberärztin oder Oberpsychologin und einer Fachperson aus dem Bereich Pflege/Sozialpädagogik dual geleitet. «Die Zusammenarbeit mit den Eltern bzw. den Bezugspersonen der Kinder ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit», sagt Mailänder. In der Brüschhalde werden Kinder und Jugendliche mit dem gesamten Störungsspektrum der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgenommen, allerdings keine Kinder mit Substanzkonsum. Die Brüschhalde hat einen guten Ruf und eine besonders hohe Expertise in der Behandlung von Angst- und Zwangsstörungen, Essstörungen und Traumapädagogik. Die Gruppen auf den vier Halbstationen bestehen aus je acht Kindern und Jugendlichen. Spiel- und Sportmöglichkeiten gibt es viele auf dem grossen Gelände. Will ein Kind einmal allein sein, kann es sich in einen Rückzugsraum wie etwa das Sternenzimmer mit Hängematte und Sternenhimmel zurückziehen. Die Kinder haben mitgeholfen, dieses Zimmer einzurichten. «Die Partizipation der Kinder und Jugendlichen ist uns wichtig. Auch der Jugendpavillon wurde von den Jugendlichen mitgestaltet und eingerichtet», erzählt Mailänder.

Fröhlich bunte Wandfiguren

Veronika Mailänder zeigt den Eltern und Noah im Rahmen einer Führung, wo er auf der Station wohnen wird, wenn er sich für die Klinik entscheidet. Neu gestaltet wurde der Eingangsbereich des modernen Stationsgebäudes. Fröhliche bunte Figuren an den Wänden begrüssen die Eintretenden. Die Zürcher Künstlerin Sonnhild Kestler hat diese bunten Figuren und Ornamente gestaltet und spielerisch an der Wand platziert. Im Rahmen der offiziellen Einweihung der Wandgestaltung beschrieben Kinder die neue Gestaltung als «cool», sagt Mailänder.

«Schülerinnen und Schüler lehnen die Schule ab, weil sie schon früh mit deren Erwartungen nicht klarkommen und immer wieder versagen.»

Noah und seine Eltern haben sich nach dem Vorgespräch für einen geplanten Klinikeintritt entschieden. Wenige Tage später kann Noah in die Klinik kommen. Er wird die Klinikschule besuchen, bereits von Anfang an. «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kinder, die den Regelschulbesuch verweigern, hier in der zunächst kleinen Klasse mit sechs Schülern und Schülerinnen wieder mutig am Unterricht teilnehmen», sagt Mailänder. Die Kinder und Jugendlichen erhalten in der Klinikschule der Brüschhalde einen individuell angepassten Unterricht. Das hilft ihnen, den Tag zu strukturieren, Verpflichtungen einzuhalten und mit Anforderungen umzugehen. Im Einverständnis mit der Familie ist den Fachpersonen in der Klinik die Vernetzung mit der Herkunftsschule und/oder dem Schulpsychologischen Dienst sehr wichtig. «Die Kinder können bereits gegen Ende ihres Klinikaufenthaltes in ihrer Herkunftsschule oder einer neuen Schuloption «schnuppern» gehen. Mit dieser Brücke gelingt auch nach dem Austritt die Reintegration in die Schule leichter», erzählt Mailänder.

Schulabsentismus als Symptom

Mailänder betont, dass die Anmeldungen an der Klinik von Kindern und Jugendlichen mit Schulabsentismus zunehmen. Sie nennt unter anderem unterschiedliche Gründe: Schülerinnen und Schüler lehnen die Schule ab, weil sie schon früh mit deren Erwartungen nicht klarkommen und immer wieder versagen. Oder sie meiden die Schule aus Angst, etwa vor Mobbing oder wegen psychischer Probleme, die nur teilweise mit der Schule zu tun haben. Es gibt auch Kinder, die eigentlich gerne zur Schule gehen, die aber zuhause bleiben aus Trennungsangst, weil sie meinen, sie müssten den Eltern helfen oder den Eltern könnte etwas Schlimmes zustossen. Schulabsentismus ist keine Diagnose, sondern oft ein Symptom für eine Problematik, welche die Kinder und Jugendlichen allein nicht konstruktiv bewältigen können. Man müsse genau hinschauen, worum es bei dem oder der Einzelnen gehe.

Mailänder hat 2023 zusammen mit anderen Fachleuten eine Empfehlung zum Vorgehen bei Schulabsentismus herausgegeben. Sie richtet sich an Lehrpersonen, Schulleitungen und Behörden der Volksschule, sowie an die Mitarbeitenden der unterstützenden Schulpsychologischen Dienste (SPD), der Schulsozialarbeit (SSA) und an Fachpersonen aus dem Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychologie im Kanton Zürich.

Noahs Eltern sind jedenfalls zuversichtlich, dass sich die Schul- und Versagensängste ihres Sohnes auf Dauer legen werden, und er wieder mit Zuversicht die Regelschule besuchen wird.

*Name geändert

Zentrum für Kinderpsychiatrie, Brüschhalde

Die Tagesklinik und die Stationen des Zentrums für Kinderpsychiatrie sind für Kinder und Jugendliche von 5 bis 15 Jahren, in Einzelfällen auch bis 18 Jahren, eingerichtet.

Im Zentrum für Kinderpsychiatrie wird das ganze Spektrum der kinderpsychiatrischen Erkrankungen behandelt. Es richtet sich an Kinder und Jugendliche, die eine kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung, eine pädagogische Betreuung und eine individuelle schulische Förderung benötigen.

  • Abklärungsaufenthalte: diagnostische Klärung
  • Überprüfungsaufenthalte: Optimierung der medizinischen Behandlung sowie schulischer und sozialpädagogischer Massnahmen
  • Therapieaufenthalt: umfassende therapeutische Behandlung

Das Therapieangebot umfasst Einzelpsychotherapie, Familientherapie, Elternberatung, Elterngruppen, Gruppentherapien, Musik- oder Bewegungstherapie, Ergotherapie, Logopädie, tiergestützte Interventionen, Ernährungsberatung sowie Eltern-Kind-Training. Jugendliche mit Schulabsentismus werden auch auf anderen Therapiestationen der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich behandelt.

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